Oktober 2010 - Crystal Mill
Am Morgen war ich in Montrose losgefahren, und gegen 11 Uhr kam ich aus südlicher Richtung auf dem Colorado Highway 133 über den Mc Clure Pass zur Abzweigung nach Marble. Der Ort Marble ist eigentlich nicht weiter erwähnenswert, aber er ist der Ausgangspunkt, um auf der County Road 3 zur Crystal Mill zu fahren. Am östlichen Ortsende von Marble beginnt die recht raue Piste, und ein Schild weist darauf hin, dass die Strecke nur für 4WD geeignet ist. Die Piste führt zur Crystal Mill, was mein Ziel war, weiter zur Ghost Town Crystal und dann über den Schofield Pass nach Crested Butte. Der Schofield Pass ist aber wirklich nur für hardcore 4WD-Fahrzeuge geeignet und mit einem SUV sicher nicht zu bewältigen. Tage später sah ich den Schofield Pass von der Crested Butte Seite aus, und die einen halben Meter hohen Felsstufen in der Piste machten mir deutlich, dass ein echtes, geländegängiges 4WD-Fahrzeug von Nöten wäre. Aber ich wollte ja gar nicht über den Schofield Pass, sondern nur zur Crystal Mill, einer alten Mühle am Crystal River, mit einem fotogenen Wasserfall vor der rot-braunen Holzhütte der Mühle.
Es war Anfang Oktober, strahlender Sonnenschein, und ich wollte natürlich, dass der Aspen bei der Mühle in schönster Gelbfärbung steht - aber ich hatte Bedenken. Auf meiner Fahrt durch Colorado hatte ich bisher sehr unterschiedliche Stadien der Laubfärbung bei Aspen vorgefunden. Es gab Aspen mit noch recht grünen Blättern, in wunderschöner Gelbfärbung, aber auch schon absolut kahle Bäume. Hoffnung auf gute Bedingungen machte mir aber die schöne Laubfärbung der Bäume am Mc Clure Pass.
Vor Jahren war ich schon einmal in Marble, allerdings damals mit einem Pickup-Camper, der trotz 4WD und guter Bodenfreiheit aber nicht geeignet war, um die Piste zur Crystal Mill zu befahren – zumindest hatte ich mich nicht getraut.
Diesmal hatte ich einen Jeep Liberty, der mich auf der bisherigen Reise schon zuverlässig über recht anspruchsvolle Pisten gebracht hatte. Allerdings hatte der Wagen ein Manko, denn er hatte keinen vollwertigen Ersatzreifen, sondern nur ein schmächtiges Behelfsrad – kein Rad mit dem man auf einer Piste mit spitzen Steinen fahren möchte. Noch dazu musste ich in wenigen Tagen den Wagen in Denver abgeben und wollte daher kein Risiko eingehen, dass ich den Wagen bzw. die Reifen noch beschädige. Daher hatte ich mir vorgenommen nur den ersten Teil der Strecke zu fahren, um die meisten Höhenmeter zu bewältigen, und dann den Rest zu Fuß zu laufen. Die einfache Strecke von Marble zur Crystal Mill ist etwa 8 km lang, und man erkennt im mit DeLorme erstellten Höhenprofil, dass der größte Teil der Steigung (ca. 200 Höhenmeter) am Anfang zu bewältigen ist.
Gleich nachdem man den Beaver Lake am östlichen Ortsende von Marble passiert hat, geht es auf einer steilen, einspurigen Piste bergauf. Der felsige und steinige Untergrund zwingt einen langsam zu fahren, denn die spitzen Felsbrocken könnten die Highway-Reifen leicht beschädigen. Ich hatte Glück, dass mir auf diesem sehr unangenehmen Teil der Strecke nur ein Wagen entgegen kam, der aber gleich eine Ausweichstelle fand und mir Platz machte. Langsam und vorsichtig, meist nur mit Schrittgeschwindigkeit, fuhr ich stetig bergauf. Nach ziemlich genau 2 Meilen (3.2 km) erreichte ich den kleinen Lizard Lake. Hier gab es ein paar Ausweichstellen und auch ein paar Plätze neben der Piste, wo man den Wagen abstellen konnte. In solch eine kleine Lücke rangierte ich meinen Jeep derart, dass die Stelle auch noch als Ausweichstelle genutzt werden konnte.
Von hier aus würde ich zu Fuß gehen - es waren nur noch ca. 5 km bis zur Mill, ohne allzu viel Steigung. Die Sonne schien, es war ca. 25 Grad warm und ein herrlicher Tag. Bei solch einem Wetter würde ich auch in München gerne eine Wanderung in den Bergen machen. Also warum sollte ich weiterhin die Reifen meines Wagens riskieren?
Mit Fotorucksack und Stativ machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Schon bald hatte ich den Eindruck, dass der schlimmste Teil der Piste wohl derjenige war, den ich gefahren bin. Die Piste hatte kaum noch Steigung, war meist deutlich breiter als beim ersten Anstieg, und der Untergrund wechselte öfter von felsig, steinig zu lehmig. Auf den steinigen Passagen könnte man aber nach wie vor nur in Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn man nicht einen Platten riskieren wollte – also war ich auch nicht viel langsamer als mit dem Auto. Ich begegnete keinem weiteren Fahrzeug während meiner Wanderung, was aber wohl auch daran lag, dass ich genauso schnell unterwegs war.
Nach knapp eineinhalb Stunden erreichte ich die Crystal Mill. Aufatmen, denn die Aspen bei der Mill hatten eine schöne, wenn auch nicht optimale Gelbfärbung. Es war erst kurz nach 13 Uhr und daher war das Licht noch nicht besonders gut, auch weil man noch Gegenlicht hatte. Das hatte ich gewusst, aber ich war darauf eingestellt hier zu bleiben, bis ich gutes Licht zum Fotografieren hätte. Ich kletterte in die kleine Schlucht zum Crystal River runter, setzte mich auf einen Baumstamm in die Sonne und genoss erst mal nur den Blick, bevor ich meine Mittagspause machte. Mit fortschreitender Zeit wurde das Licht besser, weil die Mill nicht mehr im Gegenlicht war, und ich fing an zu fotografieren. Zwischendurch trafen immer wieder mal Fahrzeuge ein, Leute kletterten zu mir runter, fotografierten und fuhren wieder.
Gegen 16 Uhr, als die Sonne soweit gewandert war, dass die Mühle auch auf der Vorderseite vom warmen Licht der herbstlichen Sonne beschienen wurde, stieg ich wieder aus der Schlucht, um ein paar Fotos der Mühle mit dem Wasserfall im Vordergrund zu machen. Als ich oben bei der Piste ankam, hörte ich eine Stimme:“ Wir dachten uns schon, dass Sie der Fotograf dort unten sind“. Es waren die beiden deutschen Profifotografen, die ich vor ca. 10 Tagen beim Fotografieren zum Sonnenuntergang bei Little Finland getroffen hatte. Ich hatte ihnen diese Location hier empfohlen, denn sie kannten die Crystal Mill gar nicht. Wir waren auf dieses Thema gekommen, als wir feststellten, dass wir alle Anfang Oktober in Colorado die Herbstfärbung fotografieren wollten.
Earthshots - Photo of the Day 3rd November 2011
Die beiden, Ulrich Schaffer und Micha Pawlitzki, sind echte Profis, die schon unzählige Bücher und Kalender veröffentlicht hatten. Einmal im Jahr fahren sie gemeinsam mit dem kleinen Toyota Pickup durch die USA, um zu fotografieren. Ulrich Schaffer wohnt und lebt in British Columbia und Micha Pawlitzki in Augsburg. Wir tauschten unsere Erlebnisse der letzten Tage aus, und welche Pläne wir für die nächsten Tage hatten. Leider war schlechtes Wetter vorhergesagt, und auch die Laubfärbung schien dieses Jahr nicht optimal zu sein, deshalb wollten sie nach Kalifornien weiter. Ich musste sowieso demnächst von Denver nach München zurück. Am Vortag waren sie bei absoluter Windstille zum Sonnenaufgang am Maroon Lake und erlebten dort eine perfekte Spiegelung. Allerdings waren sie nicht alleine, denn es sollen etwa 300 Fotografen dort gewesen sein. Diese Location stand bei mir für den nächsten Tag auf dem Programm.
Ich fotografierte die Mill mit dem Wasserfall im Vordergrund – eigentlich das sehr viel bessere Motiv. Aber selbst mein 17 mm Weitwinkel reichte kaum aus, um die Szenerie ganz draufzubekommen. Während Ulrich Schaffer auch fotografierte, interessierte sich Micha Pawlitzki nicht so sehr für das Motiv. „Er sei Landscape- und nicht Travel-Fotograf“ sagte er.
Nun wurde es Zeit für mich, mich auf den Rückweg zu machen. Die beiden entschuldigten sich, dass sie mich nicht im Wagen mitnehmen konnten, denn der Toyota war ein 2-Sitzer mit einem zusammen schiebbaren Pickup-Aufsatz. Sie wollten auch noch zur Ghost Town Crystal, und so verabschiedeten wir uns.
Mit flottem Schritt ging ich zurück, denn es war etwas kühl geworden und der Weg lag jetzt weitgehend im Schatten. Wieder hatte mich kein einziger Wagen überholt, obwohl einige bei der Mill gestanden waren. Auch ein Beleg dafür, dass man zu Fuß auf dieser Strecke fast genauso schnell unterwegs ist wie mit dem Auto. Nach wiederum knapp eineinhalb Stunden war ich zurück beim Wagen.
Ich fotografierte noch die schöne Spiegelung der herbstlichen Berge im Lizard Lake, dann fuhr ich wieder langsam und vorsichtig die steile Piste zurück nach Marble. Weiter ging es Richtung Aspen, denn Morgen stand zum Sonnenaufgang der Maroon Lake mit den Maroon Bells auf dem Programm.
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